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Framing, Teil 1: Wie Sprache unsere Wahrnehmung und Entscheidungen beeinflusst

Im Februar 2019 sorgte das geleakte Framing-Manual des deutschen TV-Senders ARD für Aufsehen. Seither wabert der Begriff Framing durch die Presse und sozialen Medien. Ein Phänomen, das bis anhin vorwiegend unter Linguisten, Semantikern sowie Sozial- und Kognitionswissenschaftlern diskutiert wurde, drang so ins Bewusstsein breiterer Gesellschaftsschichten. Wann und wo Framing auftritt, wie stark sein Effekt ausgeprägt ist und was dieser bewirkt, ist längst nicht mehr nur Thema der wissenschaftlichen, sondern auch der öffentlichen Debatte – immerhin mit einiger Relevanz, denn es geht um eine Art der Informationsdarstellung, die unser Entscheidungsverhalten beeinflussen kann. In diesem Blogartikel führen wir Sie an den Begriff Framing heran und erklären, wie Sprache unser Denken beeinflusst. Im zweiten Teil zeigen wir Ihnen, wie Sie beim Schreiben von diesem Effekt profitieren können und die Botschaft Ihrer Texte so noch besser bei Ihren Lesern ankommt. 


Framing, Teil 1: Wie Sprache unsere Wahrnehmung und Entscheidungen beeinflusst

Framing in der Theorie

Viele öffentlich und privat besprochene Themen sind überaus komplex. Themenvermittler neigen dazu, diese Komplexität zu reduzieren, um Informationen für Leser oder Hörer verständlich aufzubereiten. Bestimmte Aspekte werden nach individueller Gewichtung selektiert, in den Vorder- oder Hintergrund gerückt. Dass die Geschichte dabei aus einer subjektiven Sicht erzählt und die Wahrnehmung davon in eine bestimmte Richtung gelenkt wird, lässt sich meistens nicht vermeiden. Geschieht dies (absichtlich), sprechen wir von Framing.

Das Phänomen Framing ist seit Jahrzehnten Forschungsgegenstand von Linguisten und Kommunikationswissenschaftlern. In den letzten zwei bis drei Jahren und spätestens im Februar 2019 wurde es auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Auslöser dafür war das durchaus umstrittene, von einigen als Sprachregelungswerk kritisierte Framing-Manual der Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling. Das eigentlich nur für den internen Gebrauch gedachte Handbuch verfasste sie 2017 im Auftrag der ARD. Es hat unter anderem den Zweck, die gebührenzahlende Bevölkerung vom Gedanken an «Zwangsabgabe» und «Staatsfunk» wegzubewegen und ihr den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als «gemeinschaftliches Projekt» sowie die Gebühren als «Beitrag zum gemeinsamen Rundfunkbudget» näherzubringen – eben mithilfe des Framings.

Begriffsdefinition: Was ist Framing?

Aus dem Englischen übersetzt, bedeutet «frame» Rahmen, «framing» ist das Einrahmen. Der Ausdruck Frame wurde vom Sozialwissenschaftler Gregory Bateson geprägt. Er sah in der Rahmung von kommunikativen Handlungen eine wesentliche Bedingung dafür, dass sich Gesprächsteilnehmer orientieren können und Verständigung gelingt. Dahinter steckt eine (unbewusst oder bewusst eingesetzte) Kommunikationsstrategie, bei der ein Sender einem Empfänger eine bestimmte Botschaft durch eine gezielte Wort- und Themenwahl vermittelt. Das zu Vermittelnde wird durch Verfasser und Rezipienten in ein Deutungsraster eingeordnet beziehungsweise gerahmt.

Der Kommunikationswissenschaftler Robert M. Entman formuliert es in seinem Aufsatz «Framing: Towards a Clarification of a Fractured Paradigm» 1993 so:

«Framing heisst, einige Aspekte einer wahrgenommenen Realität auszuwählen und sie in einem kommunizierenden Text hervorzuheben, um eine bestimmte Problemdefinition, kausale Interpretation, moralische Bewertung und/oder Handlungsempfehlung für den beschriebenen Gegenstand zu fördern.»

Ein Frame zeigt demnach nur einen ausgewählten Bildausschnitt vom Ganzen. Darin bildet er kontextabhängiges, für das Verstehen relevantes Wissen ab. Auf diese Weise strukturiert er die Wahrnehmung der Realität und lenkt die Deutung eines Themas durch einen gewissen Interpretationsfilter. Und das bedeutet auch, dass unterschiedliche Formulierungen oder Akzentuierungen desselben Inhalts unterschiedliche Reaktionen beim Empfänger hervorrufen und schliesslich dessen Verhalten beeinflussen können.

Framing: wissenschaftlicher Hintergrund

Bei Frames handelt es sich um abstrakte, schwer überprüfbare Objekte, sodass es zwischen Psychologie, Linguistik, Soziologie, Kommunikations- und Politikwissenschaften keine allgemeingültige Theorie gibt, die erklärt, wie genau sie sich in Texte einbetten und was sie in welchem Ausmass bewirken. Seit den 1970ern wird das Framing-Konzept in den verschiedenen Disziplinen parallel erforscht:

  • Der Ursprung der Forschung wird bei Gregory Bateson verortet, der 1972 anhand von Frames psychologische Phänomene wie den Ein- und Ausschluss von Informationen in der Alltagskommunikation beschrieb.
  • In der Kommunikationswissenschaft untersucht man hingegen den Framing-Ansatz in Bezug zur Massenkommunikation und stellt ihn dem Agenda-Setting gegenüber. Es wird einerseits die Frage aufgeworfen, welche Themen durch Medien ausgewählt werden, und weiterführend, welche Perspektive dabei eingenommen wird.
  • Laut der psychologischen Schule des Konstruktivismus tragen Frames durch Selektion von Erfahrungen und Etablierung von bestimmten Denkmustern zur Konstruktion sozialer Wirklichkeit bei.

Für uns als Texter und Sprachinteressierte besonders relevant: Auch die Linguistik befasst sich mit der Frame-Thematik. George P. Lakoff etwa argumentiert in seinem Buch «Moral Politics» 2002, dass unser Denken grossteils unbewusst stattfindet und wir unsere (moralischen) Urteile basierend auf konzeptuellen Metaphern (= Frames) fällen, die durch bestimmte sprachliche Ausdrücke aktiviert werden. «Wir nutzen diese Metaphern, um moralische Fragen zu framen; um sie zu interpretieren, sie zu verstehen und um ihre Konsequenzen abzuschätzen.» (übersetzt von spektrum.de)

 

George Lakoff Moral Politics

Bildquelle: George Lakoff, «Moral Politics, How Liberals and Conservatives Think», Second Edition, 2002, S. 44

 

Wehling schliesst sich der Auffassung ihres Doktorvaters Lakoff an, dass das Denken und Reden metaphorisch und assoziativ, ohne Frames also kaum möglich seien: «Sprache aktiviert Frames. Jedes einzelne Wort aktiviert einen Frame im Kopf des Rezipienten» schreibt sie im Framing-Manual. Und weiter: «Nur durch die ständige Wiederholung neuer sprachlicher Muster über längere Zeit hinweg ist es möglich, den neuen Frames kognitiv Geltung zu verschaffen und sie damit zu einer realistischen Wahrnehmungsalternative werden zu lassen.»

Erkenntnisse der Frame-Semantik

Die Frame-Semantik, vertreten durch Charles J. Fillmore und Marvin L. Minsky beispielsweise, analysiert die Bedeutung sprachlicher Äusserungen in Bezug zu Welt- und Handlungswissen. Demnach lässt sich die Bedeutung eines Wortes nur erfassen, wenn man über das entsprechende Wissen verfügt. In Frames sieht sie komplexe Datenstrukturen beziehungsweise Wissensrahmen, die sich durch Erfahrungen bilden und dieses Wissen organisieren. Ein solcher Rahmen speichert also Wissen über stereotype Situationen, Abläufe und Zusammenhänge, das je nach Kontext wiederum durch Sprache aktiviert wird.

Empfängt der Rezipient ein bestimmtes Signal, zum Beispiel das Wort «Boutique», wird umgehend der passende Frame abgerufen: Tische und Regale mit Kleidung, Umkleidekabinen, Kleiderbügel, Verkäufer und eine Kasse. Ähnlich verhält es sich mit abstrakteren Ausdrücken wie «Demokratie»: Volksherrschaft, Wahlen, händeschüttelnde Politiker, eine vielfältige Parteienlandschaft, Gleichberechtigung sowie Rede- und Versammlungsfreiheit sind Bestandteile dieses Frames. Es handelt sich insgesamt um ein System von Konzepten, die miteinander verbunden sind und nur wissens- und kontextabhängig interpretiert beziehungsweise verstanden werden können.

Funktionen von Frames

Framing beruht auf der Annahme, dass Sprache selten neutral, sondern zumeist subjektiv gebraucht wird. Durch unsere Sinne und Erfahrungen sind Wörter stets positiv und/oder negativ konnotiert. Folgen wir der Frame-Semantik, aktiviert jeder sprachliche Ausdruck in Form von Textelementen oder aber als spezifische Redeweise (mindestens) einen Frame in unserem Gedächtnis, indem er Assoziationen, Emotionen oder ganz persönliche Erinnerungen weckt. Der Ausdruck wird in Bezug zum Frame verstehbar, wenn dieses subjektive Erfahrungswissen durch Weltwissen und soziales Hintergrundwissen über allgemein bekannte, gesellschaftlich vereinbarte Inhalte ergänzt wird. Denn neben Gegenständen oder Personen (Stichwort «Boutique») können auch kulturelle Werte, soziale Rollen, gängige Handlungsweisen oder Normen darin repräsentiert sein (Stichwort «Demokratie»). Ändern wir die Formulierung und ersetzen «Demokratie» beispielsweise durch «Parlamentarismus», verschiebt sich der Fokus weg vom Volk und hin zu den Parlamentariern. Neue Assoziationen und andere Wissensstrukturen werden abgerufen. Über die Wortwahl mobilisieren und steuern Frames die Perspektiven, Motivationen, Ideen und Erwartungshaltungen der Rezipienten. Und damit lässt sich auch erklären, dass an solche Deutungsrahmen durchaus die Vorstellungen von sozial angemessenem Verhalten oder die Bildung von Vorurteilen geknüpft sind.

 

Die Verwendung von Frames ermöglicht, Informationen zu strukturieren, zu gewichten, in bestimmten Zusammenhängen darzustellen und Schlussfolgerungen zu implizieren. So wie Fakten ein- und ausgeschlossen werden können, funktioniert das auch mit den passenden Interpretationsmöglichkeiten. Damit geben Frames dem Gesagten erst seine Bedeutung. Sie sind Entscheidungshilfen beim Abwägen und Bewerten von Themen, Objekten, Personen und Ereignissen. Sie verweisen auf Handlungsoptionen und schreiben Verantwortung zu, sodass (strategisches) Framing selbst immer verantwortungsbewusst erfolgen sollte, um sich nicht dem Vorwurf der Manipulation auszusetzen.

Fazit: Wie wirkungsvoll ist Framing?

Dass Framing wirkt, ist weitgehend Konsens. Über das Ausmass der Wirksamkeit jedoch ist sich sowohl die Wissenschaft als auch die Öffentlichkeit uneins. Wesentlich für die Uneinigkeit ist die Tatsache, das Frames nicht allein (bewusst oder unbewusst) vom Sender aktiviert werden. Auch die Empfänger haben hierbei ein Wörtchen mitzureden. Sie sind nicht nur passive Konsumenten und dem Framing-Effekt schutzlos ausgeliefert. Einerseits sind sie es, die auswählen, mit welchen Themen sie sich überhaupt beschäftigen und auf welches mediale Angebot sie dafür zurückgreifen. Anderseits kommt es auf ihr Reflexionsvermögen und ihre individuelle Einordnung der präsentierten Inhalte an, sodass die Wirkung sehr unterschiedlich ausfallen kann.

Während Wehling sagt, hier bräuchte es nur wiederholtes Framing über eine gewisse Dauer, um neue, veränderte Positionen im Denken des ARD-Publikums zu etablieren, hält eine Forschergruppe um Marc Helbling dagegen. In einer Studie fand sie heraus, dass Schweizer Wähler trotz Framing auf ihren politischen Ansichten beharren und diese noch verstärkt vertreten. Dabei spielte es keine Rolle, ob die eigene Meinung mit wohlwollendem oder ablehnendem Framing konfrontiert wurde. (Michael M. Bechtel, Jens Hainmueller, Dominik Hangartner, Marc Helbling, «Reality Bites: The Limits of Framing Effects for Salient and Contested Policy Issues», 2014) Einige Kritiker argumentieren ausserdem, dass ein Frame erst dann funktioniere, wenn er auch zur Wirklichkeit der Rezipienten passt und nicht im Widerspruch zu ihren Erfahrungen steht. Zu starkes Framing hingegen löse dann eher Zweifel aus.

 

Halten wir fest: Sender einer Botschaft können nicht nicht framen. Allein durch die Verwendung von Sprache und eine bestimmte Wortwahl werden Frames kommuniziert und im Gehirn des Gegenübers ausgelöst. Wie das in der Praxis geschieht, erläutern wir in unserer Fortsetzung anhand aktueller Beispiele aus Politik und Presse. Tipps, wie Sie mit Frames in Texten Ihre eigene Message pushen, gibt’s noch dazu. Lesen Sie hier unseren Artikel «Framing, Teil 2: Die Kommunikationsstrategie aus praktischer Sicht»!

 

Autorin: Maria Schuhmacher


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